“She was lost in her longing to understand.” —Gabriel Garcia Marquez, Love in the Time of Cholera
Mein Vater wäre heute 98 Jahre alt geworden. Leider hat er nur 62 Jahre geschafft.
Zu lange ist er schon nicht mehr da. Ihm hätte die Musik Freude bereitet. Mich erinnert sie an ihn.
Wieso ich gerade an ihn denke, wenn ich über „Verstehen wollen“ sinniere? Na, diese Neugier, diesen Drang habe ich wohl meiner Sozialisation zu verdanken. Mein Vater ist daran nicht ganz unbeteiligt gewesen. 🙂 Ohne Wurzeln halt keine Flügel. 🙂 Thank you Mom & Dad!!!
Einer dieser Momente, in denen ich so unendlich dankbar bin für das, was ich mit und von meinen Eltern lernen konnte. So verschieden sie waren, so sehr haben sie mit einer gemeinsamen sie (auch mit anderen) verbindenden Haltung gelebt:
„…. Aber vor allem Er lehrte mich zu verzeihen Wie man einen kühlen Kopf bewahrt Wie man die liebt, die einem nahe sind Und wenn ich weit in der Ferne bin Und wenn es hart auf hart kommt Daran zu denken, was zurückkommt Wenn du deine Liebe verschenkst. … Ich habe die Stimme meiner Mutter schon lange nicht mehr gehört Aber ihre Worte fallen immer aus meinem Mund Mein Verstand und mein Geist sind manchmal im Zwiespalt Und sie kämpfen wie der Norden und der Süden
Aber ich sorge mich immer noch genug, um die Last zu tragen Der Schwere, an die mein Herz gebunden ist Sie lehrte mich, stark zu sein und auf Wiedersehen zu sagen Und dass Liebe für immer ist Aber vor allem Sie lehrte mich zu kämpfen Wie man sich über die Linie bewegt Zwischen dem Falschen und dem Richtigen Und wenn ich in der Dunkelheit stehe Und wenn es hart auf hart kommt Daran zu denken, was zurückkommt Wenn du deine Liebe verschenkst.“
„Wir finden immer wieder, daß solche Wenden zugleich Aufgang und Untergang sind, zugleich die Abenddämmerung des alten und die Morgendämmerung des neuen Zeitalters.“ — Ernst Jünger
„Viele, die ihrer Zeit vorausgeeilt waren, mussten auf sie in sehr unbequemen Unterkünften warten.“ Stanislaw Jerzy Lec
Weihnachten naht. Samt aller seiner Auflagen. Die Ahnung von Frieden, den dieses Fest (mir) jedes Jahr verspricht, können mir diese Regelungen nicht nehmen. Die Zuversicht, ein Leben lang mit diesem Ereignis verbunden, bleibt. Die inneren Bilder sind stärker als die äußeren Bedingungen. In diesem Sinne: Möge es besinnlich zugehen – wo immer Ihr auch seid.
„Gott hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung.“ 2.Kor.5 19
Wieder und wieder verabschiede ich sie. Auch die, die schon lange diese Welt verlassen haben. Zumindest physisch. Und besonders die, die erst unlängst die Augen schlossen. Weil ihre Zeit um war hier auf Erden. Ihre Alters wegen, ersehnt, aus Verzweiflung oder wegen einer Krankheit, die sich ihrer bemächtigt hat. Allesamt Menschen, die mir ans Herz gewachsen sind und waren, welcher Art unsere Verbindung auch immer war.
Möge es da, wo sie jetzt sind, friedlich sein. Friedfertiger als ich es aktuell hier empfinde. Normalerweise griffe ich wohl auf den Bachchoral „Wachet auf ruft uns die Stimme“ zurück – das aber ginge mir heute einfach doch zu nah.
Mögen Euch gute Gedanken an Eure verstorbenen Lieben für diesen Totensonntag begleiten.
„Sie haben keinen inneren Raum, wenn Ihr Geist vollgestopft ist mit Vorlieben und Bindungen, mit Ängsten und Wünschen, mit dem Verlangen nach Vergnügen, Macht und Status. Dann herrscht in Ihrem Geist drangvolle Enge.“ Krishnamurti
„Das Zwiegespräch ist das vollkommene Gespräch, weil alles, was der eine sagt, seine bestimmte Farbe, seinen Klang, seine begleitende Gebärde in strenger Rücksicht auf den anderen, mit dem gesprochen wird, erhält.“ Friedrich Nietzsche
Heute bekam ich eine CD geschickt. Schon der Name des Pianisten, der darauf zu finden war, hätte mir Signal sein sollen für etwas Überwältigendes. Wie kann ein Mensch SOOOOOOOO die Tasten anschlagen und eine so unverschämt gründliche, heilsame und klangvolle Resonanz in mir erzeugen? Oder sollte ich anders fragen? Welche (Resonanz) Räume in mir habe ich noch oder schon so lange nicht betreten, dass mich das heute sooo rührt? Oder ist es gar der Absender? Unsere Geschichte? Wer weiß das schon. Ich bin auf jeden Fall sehr, sehr, sehr dankbar für diese klangliche Brücke durch Raum und Zeit.
„Über alle Berge, aus dem Staub auf und davon Über alle Berge, zu wild blühendem Klatschmohn Über alle Berge, bis ein anderer Wind weht Einer der das Glück säht, bis die Seele barfuß geht“ Pe Werner
Genau danach wäre mir heute.
Alöerdings hätte ich keine Lust, mich heute in den Stau gen Norden zu stellen, um über die Grenze nach Dänemark zu kommen. Das versuchten heute wohl sehr viele. Staumeldungen – auch von Freunden, die es gewagt haben – geben mir recht. Ich bleibe einfach Zuhause und singe mich mit Pe Werner ….. über alle Berge. Have a nice day!
„Nichts ist einfach nur ein Hobby. Jede Disziplin ist ihre eigene Welt mit ihren eigenen hohen Standards. Natürlich hat jeder Künstler „kleinere Arbeiten“, die er macht, aber ich glaube nicht, dass ich irgendwelche „kleineren Disziplinen“ habe.“ Patti Smith
Heute ist mir nicht wohl. Ich vermisse meinen Sohn. Erlaubt wäre mir, ihn im Garten für zwei Stunden auf zwei Meter Abstand mit Maske zu sehen. Ich kenne gerade keine schlimmere Strafe, als mir eine Umarmung verkneifen zu müssen bei einem Treffen mit ihm. Dafür fahre ich mal nicht vier Stunden mit dem Auto hin und die gleiche Zeit noch mal zurück.
Nein, das ist nicht das erste Mal. Nur das erste Mal habe ich das Gefühl, dass ich es auch schreiben möchte. Hier. Einfach mal teilen.
Gefühle sind schließlich keine Krankheit. Sie entladen sich eben mitunter. Und bevor dafür ein großer Anlass geschaffen werden muss, schaue ich in den Spiegel und frage mich: WAS genau stimmt mich denn nun eigentlich traurig oder wütend oder zuversichtlich? Kein einfaches Unterfangen. Denn Gründe für schlechte Gefühle gibt es ja aktuell genug. Ich mag aber nicht auf die Straße gehen, Schilder hoch halten, Schreien, Klatschen. Ich mag dafür sorgen, dass in mir Ordnung ist. Die Ordnung außen ergibt sich erfahrungsgemäß dann fast von allein.
Und dabei Hilfe zu haben durch einen Gedankenanstoß, ein Lied, Klänge, Bilder, Support, Erlebnisse, Anregungen aller Art….. genieße ich. Es lebe der Dialog mit dem Außen. Vielleicht ist er so inspirierend, weil er so anders ist als noch vor Corona. Wer weiß das schon. 🙂
Ich wünsche Euch – was oder wen auch immer – mit dem Ihr „dat schaffe“ könnt.
„Je kleiner das Sandkörnlein ist, desto sicherer hält es sich für den Mittelpunkt der Welt.“ Marie von Ebner-Eschenbach
Schon ganz schön lange tummele ich mich auf und in dieser Welt. Ich habe viel von ihr gesehen. Meiner Motivation und meinem Glück sei Dank. Nicht zu vergessen: Meine Wurzeln: Gestern war ich nochmal in NRW – am östlichsten Rand und ohne großen Kontakt zu Menschen – um eine vorerst letzte Fuhre Erinnerungen an meine verstorbenen Eltern abzuholen. So eine Wohnung hat es in sich. Die Begegnung mit meiner eigenen Geschichte in all dem Aufbewahrten ist schon immens. Einige meiner grundlegenden Annahmen sind erschüttert. Annahmen, auf denen Verhalten von mir fußten und fußen. Und: Es rückt sich was zurecht. Versöhnt. Klärt. Güte, Humor und Demut bestimmen mein Handeln – und der unbändige Respekt für die Privatheit dessen, was meine Mutter dann auch noch von meinem Vater gehütet und dann hinterlassen hat.
Bei mir entstand im Gegenzug die Frage an mich selbst: Was genau möchte ich noch behalten von dem, was ich selbst geschrieben, abgebildet, gemalt, geschaffen habe, von dem die Welt noch nicht weiß? Spricht aus meinem erneut aufgeflammten Entsorgungswahn auch Misstrauen?
Ich erinnere mich gut, dass ich zu meinem 40. Geburtstag alle Tagebücher vernichtet habe, die ich seit meinem 13. Lebensjahr geschrieben hatte. Da ich viel schreibe, waren das drei Koffer voll. Inzwischen hat sich schon wieder das eine oder andere angesammelt. Da ich seit der Zeit auch selbstständig bin, haben sich die Meinungen, Erlebnisse und Inhalte für meine Arbeit vermischt.
Ich bin verführt, mal wieder Tabluarasa zu machen.
Die avisierte Reise, deren Vorbereitung mich die letzten Wochen am Schreibtisch gehalten hat, ist am Freitag abgesagt worden. Gesundheit und Sicherheit gehen vor.
Also: Zeit ist da. Langweilig wird es hier nicht. 🙂
Mal sehen, was sich in den nächsten Woche noch so nach oben wühlt. 🙂