„Je schöner und voller die Erinnerung, desto schwerer ist die Trennung. Aber die Dankbarkeit verwandelt die Erinnerung in eine stille Freude.“ Dietrich Bonhoeffer
Die Sonne war uns gnädig in den letzten Tagen. Sie hat mir lange Autofahrten erleichtert. Hat Schattenspiele geschaffen. Hat mich vor die Tür gelockt. Und es leichter gemacht, trotz Kälte – lange Wege zu gehen.
Schon erstaunlich, was sie bewirken kann.
In der letzten Woche bin ich 65 Jahre alt geworden. Kann es kaum glauben.
Ich danke auf diesem Wege für all die Glückwünsche, die über so viele Kanäle mich erreicht haben. Geschenke, Briefe, Mails, Nachrichten, Karten, überraschende Begegnungen und Besuche haben das Wochenende nach dem Geburtstag zu einem besonderen Fest gemacht.
Ganz leise genieße ich die Freundschaften, die Fürsorge, die Begleitung, die Geduld, die Neugier, die Liebe und das Vertrauen der Menschen um mich in das, was wir haben.
„Selbstverständlich darf man seinem Prinzip ein Leben opfern. Aber nur sein eigenes.“ Rolf Hochhuth. Die Unzeitgemäßen Zeitgenossen von Bernd Göbel in der Grimmaischen Straße in Leipzig
„When you quiet your mind, you can enter a world of clarity, peace and understanding.“ Alice Coltrane
Kreativität ist ein Herrenhaus
F. Gary Gray hat mal gesagt: „Kreativität ist ein Herrenhaus. Wenn Du in einem Raum leer bist, musst Du nur auf den Flur gehen und einen anderen Raum betreten, der voll ist.“
Ob uns das so klar ist, scheint fraglich. Ich hätte es nie so bezeichnet. Doch bin ich oft diesem Drang gefolgt, in neuen Räumen Platz und Inspiration zu finden. Ideen ließen dann nicht auf sich warten.
Leiden ist gebremstes Wollen
Mein geschätzter Kollege und Freund Johannes Seybold bringt es gern auf den Punkt: Leiden ist gebremstes Wollen. Und wenn sich in meinem Leben Leid ohne die Aussicht auf Linderung bei mir einstellte, … bin ich in den „Flur“ gegangen. Der Nase nach auf neue Türen zu. Als offene Türen haben sie sich in der Regel entpuppt.
Fundstücke
Und was ich dahinter fand und immer noch finde, sind Möglichkeiten. Chancen – manchmal mir Fremdes, das mich neugierig stimmt. Und da ich meiner Neugier noch nie wirklich widerstehen konnte, habe ich in der Regel etwas mit den Fundstücken oder aus ihnen gemacht. Schon erstaunlich – wenn ich so zurückblicke, wie viel ich entdeckt habe. Und noch nutze – und wie gut sich das bereits Vorhandene mit den neuen Impulsen aufpeppen, vertiefen, verändern und mitunter auch noch“lizensieren“ lässt. Alles nicht selbstverständlich. Aber möglich.
Schweizer Taschenmesser
Ich vermute, dass es meine Haltung ist, die mich zu dieser Art „Schweizer Taschenmesser der Fähigkeiten und Fertigkeiten“ hat reifen lassen. So nannte mich einst mein Lebensgefährte. Ich hatte mal wieder einen dieser „IchKannNichtsTage“. Die kommen häufiger mal vor. 🙂 Inzwischen „gönne“ ich sie mir! 🤣 Provoziere sie sogar; wenn auch sicher unbewusst. Wie? Ich vergleiche mich mit all den Großverdiener:innen und Allwissenden auf den beliebten Businessplattformen. 🤣 An diesem besagten Tag damals staunte er: „Ich habe noch nie eine Frau erlebt, die so viel kann und weiß und die gleichzeitig so an sich zweifelt. Vielleicht ist nicht jedes einzelne Tool perfekt, aber die Kombi! Die ist unschlagbar!“ So hatte ich das noch nie gesehen. Es gefiel mir. Seither hadere ich nicht mehr so grundsätzlich. 🙂
Dauerlernen
Manche halten mich für verrückt, wenn ich von meinem Dauerlernen erzähle. Auch wenn sie sich fragen, wie ich mein ganzes Arbeitsleben als von Beginn an Alleinerziehende eines schwerbehinderten Sohnes nicht einfach nur durchgestanden, sondern wohl meist das Beste daraus gemacht habe.
Als ich anfangs 2022 anhob, mich noch als Digital Editor zu qualifizieren, war ich mit Abstand die Älteste der Gruppe. Auch in den Podcasting-Fortbildungen fühlte ich mich alterstechnisch ein wenig sehr außen vor. Neugier aber scheint jung zu halten. 🙂
Vorbereitungen auf den (Un)Ruhestand
Ich werde trotzdem nicht aufhören, zu lernen. Dieses letzte Jahr, bevor ich offiziell in Rente gehe(n muss), werde ich noch nutzen. Denn mein jährlicher Rentenbescheid ist eine Lachnummer. Da steht was von „Straßenmusik“ oder so…
Also werde ich jetzt alles tun, um mich zu rüsten für die Zeit über das Renteneintrittsalter hinaus. Ein Jahr habe ich ja noch! Mit neuen Projekten und Ideen. In neuen Räumen. 🙂
„At any moment, you have a choice, that either leads you closer to your spirit or further away from it.“ Thich Nhat Hanh
Selten erschien es mir wertvoller, altern zu dürfen. Ein gerütteltes Maß an Gelassenheit, Liebe und Erfahrung wirklich zu fühlen. Mit Abstand Geschehnisse und Fakten – auch bedrohliche – betrachten zu können, ohne sie gleich zu benoten. Tönen und Geräuschen zu folgen und ihre mitgelieferten Eintrittskarten in mein Kopfkino zu nutzen. Mich zu amüsieren, zu staunen, zu erkunden, zu bedenken, was sich da alles in Körper und Geist und Seele tummelt.
Kurze Tage, lange Abende, inspirierende Begegnungen mit Menschen, Musik und Literatur oder auch dem „Andere Zeiten Kalender 2022/23“ versprechen wache Zeit für Rück-, Innen-, Vor- und Umschau.
Bin gespannt, was diese Zeit vor Weihnachten – für mich die Adventszeit – mir offenbaren, zeigen oder bringen wird.
„Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.“ Gustav Mahler
Es wird so viel geschrieben im Netz. So viel Unnötiges. Deshalb halte ich still – und lade Euch ein. Zu einem Klassiker. Eine meiner Favoritinnen hat es komponiert – vor vielen Jahrzehnten. Gecovert von einem meiner momentanen Lieblingsmusiker. The Tallest Man on Earth. 🙂
Wer die Welt in Ordnung bringen will, gehe zuerst durchs eigene Haus.
Manchmal bin ich „aus der Fassung“, „außer mir“, „durcheinander“, „irritiert“. Wenn ich es registriere, versuche ich wieder in eine mir gemäße Form zu kommen. Das muss nicht die vorherige sein. Doch sollte es eine sein, in der ich mich gut fühle.
Als Tanztherapeutin bin ich einst nach einer Therapiestunde an die Stange gegangen, um wieder zu meiner eigenen Bewegung zu finden. Heute nutze ich Yoga, Klang, Musik, Schweigen, Gehen und Meditation. Mitunter einige davon auf einmal.
Einer begleitet mich seit Januar 2021 regelmäßig dabei. Vikingur Olafsson. Was auch immer er spielt, es berührt mich. Es rückt mich wieder zurecht. Wie mit einem Kaleidoskop ergeben dann die vorhandenen Facetten eine neue Ordnung.
Ich scheine nicht die einzige zu sein. Danke an Michael Samarajiwa für den Impuls, das mal wieder zuzuordnen. 🙂
Wenn es um mich herum laut wird, mich Geschwätzigkeit aggressiv macht, wenn ich am liebsten laut riefe: „Einfach mal die Klappe halten!“: DANN schweige ich selbst für eine Weile. Und lausche. Mir. Und all den Ullas, die bei dem empfundenen Krach nicht zu Wort kommen. Registriere auch die, die ich selbst am liebsten zum Schweigen brächte. Und lausche ihrem Dialog. 🙂 Was für ein Reichtum.
„There is a sacredness in tears. They are not the mark of weakness, but of power. They speak more eloquently than ten thousand tongues. They are the messengers of overwhelming grief, of deep contrition, and of unspeakable love.“ Washington Irving
„Tränen haben etwas Heiliges an sich. Sie sind nicht das Zeichen von Schwäche, sondern von Kraft. Sie sprechen beredter als zehntausend Zungen. Sie sind die Boten überwältigenden Kummers, tiefer Reue oder unaussprechlicher Liebe.“
Blanco White – sicher nicht neu auf dem Markt – in meinem Leben jedoch seit gestern. Richtig hungrig bin ich nach seiner Musik. Appetit hatte ich schon mit diesem Stück bekommen. Und nun bin ich das, was andere „angefixt“ nennen. Ich verschwinde dann mal ins Land des Musikhörens. Vielleicht treffen wir uns in dem Universum sogar. 🙂 Feel invited!
„Seine eigene dunkle Seite zu kennen ist der beste Weg, um mit der dunklen Seite anderer umzugehen.“ „Knowing your own darkness is the best method for dealing with the darknesses of other people.“ Carl Jung
„Wer einmal sich selbst gefunden hat, kann nichts auf dieser Welt mehr verlieren.“ Stefan Zweig
Dieser Satz von Stefan Zweig klingt, als sei es eine wunderbare Erfahrung. Als sei es ein Zustand, den ich Zufriedenheit nenne. Nicht mehr Unnützes mir aufzuladen, eher Ballast abzuwerfen, um mir selbst wieder nah zu sein. Die eh vorhandenen Herausforderungen zu nutzen, um mich meiner selbst zu vergewissern. Die vierte Welle….. macht es nicht gerade leichter. Aber auch die werde ich noch irgendwie überstehen. 🙂 Ich lasse mich nicht klein kriegen. 🙂
„Schick‘ nicht ins Leben spähend deine Blicke, das Glück erwartend mit der Sehnsucht Pein. Bau dir zum Glück mit eig’ner Hand die Brücke. Beglücke du, so wirst du glücklich sein.“ (R.M.Rilke)
Gestern auf meinem Spaziergang habe ich diesen Aufkleber an einem Stromkasten auf der Hoheluftchaussee entdeckt. Auf den Ohren das Liebes-Lied aus dem neuesten Rilke Projekt. Und dann war sie wieder ganz präsent. Meine Mutter. Die Liebe zur Lyrik haben wir geteilt. 🙂
Es ist zwei Jahre her. Mein Sohn war in Hamburg bei mir. Lange hatten wir mit meiner Mutter, seiner Oma gesprochen. Es war so viel passiert. Wir warteten gerade auf seine Untersuchungsergebnisse. Gespannt wie ein Flitzebogen waren wir. Bestimmt eine Stunde haben wir mit ihr verhandelt am Telefon, erzählt, geplaudert, miteinander und übereinander gesprochen. Rückblickend ein wichtiges Beisammen- und Miteinandersein. Außergewöhnlich gelassen hatte sie reagiert darauf, dass mein Sohn den Heiligen Abend lieber mit seiner Freundin als mit ihr verbringen wollte. Das war neu. Das mit der Gelassenheit. 🙂 Verabredet haben wir uns für den folgenden Freitag. Zuversichtlich, dass schon alles gut sein werde. Auf dem Rückweg zur WG meines Sohnes wollten wir uns sehen. Bei ihr. Es war alles gut. Aber das Telefonat an dem Abend war das letzte Mal, dass wir uns gehört haben. Am nächsten Morgen ist ihr Herz stehen geblieben. Damit hatte niemand gerechnet.
…..
Wir konnten da noch mit sehr vielen Menschen gemeinsam den Schrecken verdauen, trauern, weinen, uns erinnern, uns gegenseitig trösten, feiern, was wir mit ihr hatten.
Noch immer zutiefst dankbar für alle, mit denen wir darüber (wieder) zusammengerückt sind. Und noch immer die Erinnerungen an sie (und das mit ihr) teilen.
Muttern, Du fehlst! Immer wieder. Immer noch. Danke für alles!
Die Adventszeit wird wohl für meine Lebzeiten immer damit verbunden sein.
Dunkelgrau ist es mal wieder. Tee dampft neben mir. Die ersten selbstgebackenen Kekse müssen schon mal dran glauben. Tut richtig gut nach dem Spaziergang – einem langen – noch durch das feuchte, kühle Hellgrau des Tages. Um mich herum: Meinungen! Sie werden gerade mal wieder inflationär verbreitet. Auf was baut Ihr denn so? 🙂
„Die Menschen haben selten Tränen für den Kummer anderer, wenn er nicht einen ähnlichen bei ihnen selbst berührt. Wir sind alle ohne Ausnahme Egoisten, sogar in unserer größten Trauer und in unserem tiefsten Kummer.“ Hans Christian Andersen (1805 – 1875), dänischer Märchendichter