1. Ziel: Salt Lake City, Utah

22. Mai 2010. Erster Tag unseres lang ersehnten, gemeinsamen Urlaubs in den Staaten. Sieben Tage, drei Staaten, drei Highlights waren geplant. Die Reise wurde ein einziges.

Tag 1: Nachdem wir von NYC los geflogen, mit Zwischenstopp in Denver, CO in Salt Lake City, Utah gelandet waren und das Mietauto hatten, war es schon 15 Uhr. Neben den Reisetaschen, die wir im Kofferraum des Leihwagens verstauten, trug jeder natürlich seine Kamera über der Schulter. Überraschung: Wider die Wettervorhersage schien die Sonne. Amerika „konnte mal wieder Himmel“. Weiße Wolken in allen Formen ließen den Himmel noch blauer erscheinen, als er eh schon war. Nachmittag: Die perfekte Zeit für die geneigten Kameranutzer. Wankelmütig, ob lieber „Draußen“ oder „Drinnen“, wählten wir als erstes Ziel, was bei uns bis dato nur als vage Vorstellung vorhanden war.

Den Mormonen Tempel. Bisher konnotierten wir Mormonen als Gruppenwesen, gekleidet in dunklen Anzughosen, weißen Hemden, einer Krawatte, auf dem Rücken immer einen schwarzen Rucksack. Missionierend durch Deutschlands Straßen laufend. Immer zu erkennen, immer wie Studenten wirkend. Dieses große weiße Gebäude zog uns natürlich magisch an. Die Anlage sorgfältig gepflegt, klares Design, hell, freundlich. Die Menschengruppen, die sich darin tummelten, waren, bis auf ein paar neugierige Durchreisende, nur Hochzeitsgesellschaften und Chorsänger. Das große Auditorium, „Mormone Tabernacle“, war für Touristen an dem Tag geschlossen. Tonaufnahmen „leichter“ Musik, wie ich später erfuhr. „Hier sind die Menschen alle so entspannt, wenn sie heiraten – kein Krampf, keine Hektik, keine Dramen.“, hörte ich Henning sagen. Ich hätte darüber nicht nachgedacht. Es herrschte eine ungewöhnlich gelassene Atmospäre. Wenn wir die Stimmung hier mit der  auf Trauungen zuhause verglichen: Ja, er hätte recht. Alle hier waren natürlich, fröhlich, erfreut, glücklich. Ganz so entspannt ging es im Vergleich auf deutschen Hochzeiten immer erst nach dem offziellen Teil zu. Hier hatten alle richtig Spaß, besonders die Brautpaare. Vier Hochzeitsgesellschaften tummelten sich rund um den Salt Lake Temple. Die Fotografen rannten bunt angezogen zwischen den feierlich Gekleideten herum, entführten die Brautpaare auf die gepflegten Grünanlagen. Die Kinder spielten in den Nischen der Kirchengemäuer Verstecken, kletterten über Hecken, experimentierten mit Pfützen. Kein Verbot war zu hören, zu lesen. Niemand monierte nasse Strumphosen, Schuhe oder schmutzige Hände oder Kleider. Väter folgten zwar ihren Kindern, beobachteten sie aber lediglich bei ihrem Treiben. Alte Menschen saßen auf Bänken oder in Rollstühlen und schauten glücklich. Auf der Treppe des Tempels postierte sich eine Gesellschaft zum Gruppenfoto. Und auch die hatten offensichtlich Spaß.   Ein bisschen nachdenklich hat uns das schon gestimmt. Ich fragte den Mann, der die Regenschirme für die Paare  und Gäste verwaltete, was man tun müsse, um das Innere des Tempels bewundern zu können. Vielleicht hätten wir da einen Hinweis auf die gute Stimmung gefunden. „Sign up, donate, do exams – and maybe after a year…“ Whatever. WIR kamen da gerade nicht rein. Henning wusste zu berichten, dass jemand mal alles dran gesetzt hatte, um in den Innenraum zu gelangen. Enttäuscht soll er gewesen sein. Da sei nichts besonderes zu finden gewesen. Vielleicht sind alle so fröhlich wie die Hochzeitsgäste, haben so viel Spaß am Leben und brauchen keinen Prunk. Wer weiß das schon? Ich weiß es jedenfalls nicht. Uns konnte auch keiner der Aktiven in der zugänglichen Kapelle neben dem Tempel bekehren. Ich werde weder in den Verein eintreten noch „donaten“, um da hinein zu gelangen.

Auf dem Weg zum Family Research Center entdeckte ich auf der Innenseite eines Souterrainfensters des „Mormon Tabernacle“ Baseballkappen brav aufgereiht auf der Fensterbank. Die dazugehörigen Sänger pausierten gerade auf dem Gelände. Da ich bekannterweise neugierig bin, fragte ich sie, welcher Art die Musik sei, die sie gerade aufnähmen. Sie versuchten mir zu erklären, was die Leichtigkeit ausmache. So recht verstanden habe ich es nicht. „Where are you from? Sweden? Netherlands?“ Diese Standardfragen empfinde ich inzwischen, ehrlich gesagt, als Kompliment für meine Aussprache des Englischen, das ich nun so selbstverständlich nutze. Nicht umgehend als Deutsche erkannt zu werden, tut auch mal gut. Zu oft fallen, wenn sie uns erst einmal  als solche „identifiziert“ haben, zwei Stichworte: „Naziland“ und „World War II“. Den Volvodealer schon vergessen?  Anfangs hat es mich genervt. Inzwischen habe ich begriffen, dass es das erste ist, was ihnen einfällt.  Mich interessiert wirklich, ob das das Einzige ist, was sie über uns lernen. Egal. Die Chorsänger jedenfalls empfahlen uns dringend, das große Familienforschungsinstitut gegenüber zu besuchen. Wir folgten erst dem Hinweis, dann den Schildern, dann den Damen, die uns am Empfang zuvorkommend begrüßten. Ein neunminütiger Film über das Archiv, die Daten, die Mikrofilme, die Akten, die Computer und die kostenfreie Nutzung, um Studien über die eigene Familiengeschichte zu starten. Unser Auto stand an einer Parkuhr. Wir wussten sicher: Die war abgelaufen. Die notwendige Ruhe für die Ahnenforschung stellte sich nicht mehr ein. Ich fand, trotz der Hilfestellung durch die „Volunteers“, dort über meinen Familiennamen NICHTS. Also konnte ich ruhigen Gewissens den tollen Bau verlassen und das Auto auslösen. Beschlossene Sache für mich: Ich studiere nach dem Urlaub noch mal unseren vorhandenen Stammbaum daheim bei meiner Mutter in Deutschland. Den hatte meine Vater noch kurz vor seinem Tod entdeckt und mit einem nicht verwandten Namensvetter gemeinsam aktualisiert. Wenn wir mehr erreichen wollten, sagte man uns, könnten wir auch in Deutschland ihre Institute besuchen. Wir bekamen die Adresse von Hamburg.

Unverstellt. Ja so wirkten sie. Tat gut, war aber auch ein bisschen unheimlich. Inzwischen war es fast sechs Uhr. Am kleinsten Toyota, den man für uns bei Alamo finden konnte, war kein Strafzettel. Vielleicht hat das nur vier Wochen gültige Nummernschild auf Papier aus Arizona, von innen an die Heckscheibe geklebt, sie davon abgehalten, uns zu bestrafen. Vielleicht haben sie es auch einfach nicht bemerkt.
Noch mal davon gekommen. Navi an und auf zum 2. Ziel: Salzsee. Den wollten wir auf unserem Weg nach Yellowstone auf jeden Fall umrunden. Einige hundert Meilen lagen da vor uns. Wir waren inzwischen 14 Stunden wach, unterwegs, hungrig und müde.