„Das Hören ist der Ursprung der vernünftigen Seele, und die Vernunft spricht mit dem Klang, und der Klang ist gleichsam Denken, und das Wort ist gleichsam Werk.“ ―Hildegard von Bingen
In der letzten Woche durfte ich gleich zwei wunderbaren Konzerten lauschen. Sehr berührt haben sie mich. Erst am 5.12. in Köln Árstíðir – Vetrarsól 2022 – Ein isländisches Weihnachtserlebnis in der Kulturkirche in Köln Nippes. Und am letzten Donnerstag Vikingur Olafsson in der Laeiszhalle. Einem der schönsten Orte der Welt für Klaviermusik. Nun bin ich wohlgenährt für die eiskalten Tage, den Schnee, die glatten Straßen, die frühen Abende, die Glitzersterne vor der Tür und die am Himmel. Für die Weihnachtszeit und den Jahreswechsel.
Was habt Ihr erlebt, um Euch auf den Winter – die Einkehrzeit – vorzubereiten?
Rebekka Reinhard, praktizierende Philosophin, hat mich mit einem Titel eingefangen, der vielversprechender nicht hätte sein können. Für mich zumindest.
In Cellophan verpackt erreichte das Buch meine Adresse in der letzten Woche, als ich noch unterwegs war. Seit Samstag lag es, nachwievor in seiner Schutzhülle, auf meinen Schreibtisch. Und heute Abend – in einem Gespräch mit meiner Freundin Elke, seit jeher Sparringspartnerin zwecks Denken, Fühlen und Verstehen und Erklären, Genießen und Inspiration – fiel mein Blick auf den Untertitel. „Für einen zeitgemäßen Vernunftgebrauch“. Ich habe es ausgepackt. Ich habe die Widmung gelesen. #nobullshitfeminismus
Aufgeblättert. Während des Telefonats vorgelesen, als säßen wir am Küchentisch. Jede auch noch so kurze Passage ist – selbst aus dem Kontext gerissen – Anregung, Inspiration zum Selberdenken. Jene, die das gerne tun, leidenschaftlich selbst denken, sich gerne durch virtuose Wortkompositionen, prägnante Rückschlüsse animieren lassen, sollten sich dieses Werkes annehmen. R. Reinhard versprüht Zuversicht und traut den Menschen eben noch zu: Selbst zu denken, anzuzweifeln, zu hinterfragen, eben „WACH zu denken“, sich auf die Unberechenbarkeit des Lebens einzulassen – weiter zu glauben als das, was sie „Computer -Logik“ nennt. „Es begegnet der Vereinfachung mit einer Lust am Spiel, am Experiment, am Wagemut. Wer wach denkt, schaut frei, kreativ und vorurteilslos auf die Welt. Und das brauchen wir heute dringend, um zu neuem Wissen zu finden, zu einer intelligenten Verbindung von Verstand und Emotion, von Hirn und Herz.“ Sie widerspricht sich. Mit Absicht. Wenn ich sie recht verstehe, erhebt sie nicht den Anspruch, mehr zu wissen als andere. Sie lädt allerdings ein, WACH zu sein. Angstlust zu genießen. Spannungsfelder auszuloten. Sich aus dem Gefängnis des Vereinfachens zu befreien. Mir kommt es vor wie die Aufforderung meines Vaters – damals in den 60ern, 70ern und 80ern an mich, alles zu hinterfragen, nichts einfach hinzunehmen. Es erfreut mich zutiefst, dass es wieder ein Plädoyer dafür gibt.
Mitten aus ihrem performanten Schreiben heraus melde ich mich schon mal.
Und ich bin sooo neugierig auf sie als Person geworden.
Ihr Plädoyer für zeitgemäßen Gebrauch der Vernunft: ÄUßERST ERHOLSAM!
»Im Kulturellen und im Politischen, also in dem gesamten Bereich des öffentlichen Lebens, geht es weder um Erkenntnis noch um Wahrheit, sondern um Urteilen und Entscheiden, um das urteilende Begutachten und Bereden der gemeinsamen Welt und die Entscheidung darüber, wie sie weiterhin aussehen und auf welche Art und Weise in ihr gehandelt werden soll.« Hannah Arendt
Als säße sie hier um die Ecke und rauchte in Ruhe ihre Zigarette, während sie uns beobachtet. Und als mahnte sie uns noch immer: Hannah Arendt. Welch eine vorbildlich mutige Denkerin. Dachte halt ohne Geländer. Und ermutigte auch mich schon früh dazu.
„Verantwortung für Dich selbst bedeutet, Dich zu weigern, andere Dein Denken, Reden und Benennen für Dich tun zu lassen; es bedeutet, zu lernen, Dein eigenes Gehirn und Deine eigenen Instinkte zu respektieren und zu benutzen; also mit harter Arbeit anzupacken.“ – Adrienne Rich
“ I`ve never seen any life transformation that didn`t begin with a person in question finally getting tired of their own bullshit.“ – Elisabeth Gilbert
Gestern fand ich in meinem Archiv ein Foto, mit dem ich vor Jahren mal eine Beratung eröffnet habe. „If you fear change, you can leave it here.“ Das Bild zeigt eine Schale mit Kleingeld. Schmunzeln musste ich – mal wieder. Wie so oft frage ich mich, wann ändern Menschen sich, ihre Sichtweise oder die Situation, in der sie sich befinden. Es gehört sicherlich dazu, zu akzeptieren, wenn ich Situationen nicht ändern kann. Aber ich kann mir meine Reaktion auf die Situation anschauen. Kann mich selbst herausfordern, mich meiner Haltung versichern. Ich kann meine Wunden akzeptieren, kann Verletztheit ohne Aussicht auf Heilung respektieren. Darin liegt eine Menge Kraft. Das klingt schon nach Kür. Eines aber erlebe ich schon mein Leben lang – geändert wird erst etwas, wenn jemand sich selbst in seinem eigenen Mist nicht mehr ertragen kann. Klingt simpel.
Ich empfehle sie sehr, diese Aufzeichnungen und Briefe aus der Haft. So viele Themen, die allein dieser Text Von der Dummheit in den Blick rückt….. Egal ob Missbrauch, Macht, Selbständigkeit, Verantwortung – echte Gesprächs- und Denkanstöße.
Bewegung – innere und äußere braucht es dazu. Möge sie an die Grenzen der Komfortzonen führen. Möge sie gelingen. Die Veränderung. Die Befreiung.
Was haben wir übersehen, vergessen, nicht mitbekommen, verdrängt, aufgeschoben, ignoriert, vernächlässigt, genossen, gebilligt, genutzt, konsolidiert, hingenommen, abgewehrt, geschluckt, verdaut, gescheut, genehmigt, gekauft, verramscht, geglaubt, geleugnet, abgesegnet, unterstützt, deligiert, missverstanden, zugelassen, dass wir so manipulierbar geworden sind, und es so vieles gibt, was bei uns heute Trauer, Ohnmacht, Wut und Ärger schafft? Was genau müssen wir […]
„Bildung ist etwas Wunderbares. Doch sollte man sich von Zeit zu Zeit daran erinnern, dass wirklich Wissenswertes nicht gelehrt werden kann.“ Oscar Wilde (1854 – 1900)
„Fragen sind immer der Mühe wert, Antworten nicht immer.“
Oscar Wilde
Erkenntnis: Fragen will gekonnt sein!
Als Kinder konnten wir das gut. Mit Eintritt in die Schule wird das heute systematisch verdrängt zugunsten der Antworten, die als messbare und testbare Inhalte für Bildung gehalten werden.
Seht zu, dass die Kinder das Fragen nicht verlernen! Bitte! Sonst haben wir irgendwann eine Horde von Menschen, die nur noch die Fragen kennen: „Was wollen Sie hören?“ oder „Was soll ich denn hier machen?“
Kaum geht die Nachricht durch die Lande, dass Götz George seinen Vater Heinrich in einer Doku spielen werde, gibt es wieder einen aktuellen Aufhänger für „Väter und Söhne“.
Wie versöhnt Mann sich mit Vater? Was bleibt, wenn der geht? Wie agieren Vaterlose? Was riskieren die, die sich mit „Vater Staat“ an Vaters statt anlegen? HR Der Tag –
„Wie macht man das eigentlich, in die Haut des eigenen Vaters zu schlüpfen? Der Schauspieler Götz George versucht es gerade in einem Dokudrama. Da geht es um Schuld und Verstrickung seines Vaters während der Nazizeit, und der Sohn versucht das nachzustellen. Die 68er machten es ja bekanntlich anders: Sie rechneten mit ihren Vätern auf der Straße ab. Und heute? Sind viele Väter abwesend oder Greise in der Literatur.“