Der Drang

Gestern hatte ich einen für mich vor allem emotional extrem anstrengenden Tag. Auf einem meiner Wege fand ich dieses Schild. Geklebt auf einen Altpapiercontainer.

Kluge Entscheidung! Dachte ich so bei mir – es an einem Ort zu platzieren, an dem sich regelmäßig Menschen einfinden, die gerade damit befasst sind aufzuräumen. Ihr Dachstübchen, ihren Keller, vielleicht sogar ihr Leben. An Empfehlungen zwecks dieser Art der Selbstoptimierung mangelt es ja momentan nicht wirklich. Egal wo. Und nachmittags sandte mir dann jemand, der mich sehr gut kennt, den Link zu folgendem Beitrag der Minimalisten. Volltreffer! 🙂 Zumindest bei mir! 🙂

Der Drang, andere zu überzeugen, ist überwältigend.
Oberflächlich betrachtet erscheint es tugendhaft, zu helfen,
zu instruieren, zu coachen, zu führen, zu motivieren.

Ratschläge zu erteilen, erweckt den Eindruck von Erhabenheit,
als ob wir die Pflicht hätten, die Misere der Welt zu mildern,
Menschen zu helfen, die auf dem „falschen“ Weg sind,
Menschen in die „richtige“ Richtung zu weisen.

Wir sind alle Zwischenhändler inmitten einer Selbsthilfe-Epidemie.

Schauen Sie nur mal in die sozialen Medien.
Experten, die über Nacht Ratschläge verkünden:
Du solltest früh aufstehen.
Du solltest das nicht essen.
Du solltest Veränderungen annehmen.
Du sollst nicht ängstlich werden.
Du solltest deine Gewohnheiten ändern.
Du solltest keine Socken mit Sandalen tragen.
(Okay, vielleicht haben sie mit dem letzten Punkt recht.)

Aber in Wirklichkeit gibt es kein „sollte“.
Das gab es noch nie.
Und ohne diese Sandburg aus „sollte“.
beginnen alle Ratschläge im Wind zu zerbröseln.

Jedes Mal, wenn wir jemandem einen Rat geben,
mag es sich so anfühlen, als käme es von einem Ort der Liebe,
aber in Wirklichkeit ist es das Ego, das sagt.
Ich weiß, was das Beste für dich ist.

Die Implikation davon ist beunruhigend:
Ich habe recht, du hast unrecht,
und wenn du dich mir unterordnest,
werde ich dich in Ordnung bringen.

Wie kann das liebevoll sein?

Es gibt kein größeres Ego als das des Helfers.
Der hilfsbereite Mensch kann einfach nicht anders.
Er fühlt sich verpflichtet, einen Adler vom Himmel zu holen, um ihn vor dem Absturz zu retten,
einen Delfin ans Ufer zu zerren, um ihn vor dem Ertrinken zu retten.

Das ist das Gegenteil von hilfsbereit.
Ich weiß das, weil ich es schon tausendmal getan habe.
Und das tut mir leid – tausendmal.

Meine erste Versuchung ist es, das alles ungeschehen zu machen.
Jede Ermahnung, Empfehlung, Anregung und Meinung.
Alles aus den letzten 39 Jahren.

Aber wir können nicht neu beginnen, indem wir die Vergangenheit auslöschen.
Wir können uns nur im ewigen Jetzt nach vorne bewegen.

Vielleicht habe ich eine Allergie gegen Ratschläge entwickelt.
weil das Erteilen von Ratschlägen nur das Ego füttert.

Das Ego ist keine „schlechte“ Sache.
Genauso wie Feuer nicht „gut“ oder „schlecht“ ist.
Es kann dich wärmen; es kann dich verbrennen.

Der Wunsch, zu helfen, ist auch nicht gut oder schlecht.
Er entsteht aus unzähligen Gründen,
die alle zum Ego gehören.
Und das Ego zu stärken ist ein todsicherer Weg, den Frieden zu verringern.

Ratschläge zu erteilen bedeutet, sich selbst auf ein Podest zu stellen,
einen Sockel, auf dem kein aufrichtiger Mensch ruht –
Es erfordert, dass wir auf andere herabschauen,
was eine verabscheuungswürdige Position für jeden Menschen bedeutet.

Ratschläge? Nein!
Ich will Dir nicht helfen;
Ich will Dir auch nicht nicht helfen.
Ich möchte Dich lieben.

Liebe erfordert, die Wahrheit zu sagen
unabhängig davon zu sein, ob es jemandem „hilft“.

Wenn es hilft, ist das in Ordnung.
Wenn nicht, ist das auch in Ordnung.
Die Annahme ist Sache des Empfängers.

Die Wahrheit wird durch ehrliche Beobachtung offenbart,
durch Suche und Gewahrsein,
durch eine Erforschung von Widersprüchen
und durch ein tieferes Verständnis der Art und Weise, wie Dinge sind.

Um es klar zu sagen: Dies ist keine Empfehlung.
Ich denke nicht, dass Du irgendetwas tun „solltest“.
Ich vertrete in diesem Text nicht meinen „Standpunkt“.
Ich dränge Dich auch nicht dazu, meine „Botschaft“ zu verstehen.
Ich hoffe nicht, dass ich Dich von irgendetwas überzeugen kann.

In dem Moment, in dem wir versuchen, jemanden zu überzeugen, haben wir den Sinn verloren.

Überzeugen, beeinflussen, sich beweisen…
das sind alles Stränge, die denselben Schirm spannen.

Die Wahrheit erfordert keine Überzeugungsarbeit, kein Zureden, keinen Zwang –
sie ist die Wahrheit, ob man überzeugt ist oder nicht.

So wie die Liebe.

By Joshua Fields Millburn

https://www.theminimalists.com/convince/

Nicht erst einmal habe ich mich mit anderen ausgetauscht über meine Reaktionen auf Imperative, Ratschläge, Aufforderungen. Die „Sie sollten!“ „Du musst!“ Problemlösungsempfehlungen. Die „Ich weiß, was für Dich gut ist!“ Angebote. Laut werde ich deshalb nicht, aber zurückhaltend. Ich beobachte mich. Spüre, was mich sauer macht, was mich rührt, was mich aufbringt, was mich erheitert oder amüsiert, was mich befriedet. Wann ich mich „genötigt“ fühle, zu raten, zu helfen, einzuspringen, zu erledigen. Wann ich selbst gern Hilfe hätte. Begleitung. Obhut. Fürsorge. Was mich das Fürchten lehrt. Was mich erleichtert. Was mich erschrickt. Was mich zurückweichen lässt. Was mich antreibt. Eines ist klar: Wenn ich Rat, Empfehlungen oder Hilfe will – bitte ich darum.

Im letzten Jahr habe ich mich viel im Netz getummelt. Dass es kein Ersatz für die echte Begegnung ist, war klar. In den letzten drei Monaten war es für meine Verhältnisse viel. Zu viel sogar. Neben sehr wertvollen Begegnungen bin ich auch erneut damit konfrontiert, wie viel Zeit ich für mich brauche. Für mich allein. Und wie schnell ich das Gefühl entwickle, mich abgrenzen zu müssen. Besonders im Netz. Mein Leben lang war/ ist es mein oberstes Gebot, mich nicht zu verraten, mich nicht zu verstellen, mich nicht zu unterwerfen. Und mich nicht zum Handlanger machen zu lassen. Und das werde ich auch im Netz nicht tun! Das erfordert neben Wachsein und Aufmerksamkeit auch eine Menge Humor. Und Geduld – mit mir selbst. Und mit meinen eigenen inneren Reaktionen auf die Einlassungen anderer. Diese Reaktionen positiv zu nutzen – DAS ist mein Auftrag an mich selbst. 🙂

Thank you for talking about TRUTH – dear Minimalists!!!! I am deeply touched. https://www.theminimalists.com/convince/

Eine der Aufforderungen, die ich richtig gut haben kann, ist eine musikalische dieser Art! Danke an Felix Meyer!

Welle auf Welle

„Wer sich einmal anschaulich macht, wie nach Sokrates, dem Mystagogen der Wissenschaft, eine Philosophenschule nach der anderen, wie Welle auf Welle, sich ablöst, wie eine nie geahnte Universalität der Wissensgier in dem weitesten Bereich der gebildeten Welt und als eigentliche Aufgabe für jeden höher Befähigten die Wissenschaft auf die hohe See führte, von der sie niemals seitdem wieder völlig vertrieben werden konnte, wie durch diese Universalität erst ein gemeinsames Netz des Gedankens über den gesamten Erdball, ja mit Ausblicken auf die Gesetzlichkeit eines ganzen Sonnensystems, gespannt wurde; wer dies Alles, sammt der erstaunlich hohen Wissenspyramide der Gegenwart, sich vergegenwärtigt, der kann sich nicht entbrechen, in Sokrates den einen Wendepunkt und Wirbel der sogenannten Weltgeschichte zu sehen.“ — Friedrich Nietzsche

Zutrauen

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„Ein Vogel steigt niemals zu hoch, so lange er seine eigenen Flügel benutzt.“ William Blake

Nachts

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„Wenn man eigene unbewusste Tendenzen den anderen «ansieht», nennt man das eine Projektion.“ Alfred Adler

 

Dornen

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„Wahrheiten und Rosen kommen nicht ohne Dornen.“  „Truths and roses have thorns about them.“  Henry David Thoreau

Lange nicht mehr gehört. Lange nicht mehr gesungen. 🙂

Erinnerung(en)

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„Nichts ist schwerer und erfordert mehr Charakter, als sich in offenem Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein!“  Kurt Tucholsky

Das Zitat stand als Postkarte, zumindest solange ich zurückdenken kann, auf dem Regal neben dem Sofa im Wohnzimmer meiner Mutter. Heute wäre sie 85 Jahre alt geworden. Unsere Mutter. Schwer finde ich es, den Tag ohne sie zu begehen – diesen ersten Geburtstag ohne sie. So wie all diese vielen „ersten Male“ in diesem Jahr. Dankbar bin ich, dass ich sie so lange für mich hatte. Vielleicht ist es auch einfach besonders, als Tochter die Mutter zu verlieren. Noch immer, wenn was Außergewöhnliches geschieht, denke ich: Was mache ich denn jetzt? Wen rufe ich denn jetzt zuerst an? Wem erzähle ich zuerst davon? Wirklich bewusst geworden ist mir das an dem Tag, an dem ich die Nachricht von ihrem Tod bekam. Mein erster Impuls war: Mutter anrufen. Tja, und schon stand ich mitten im Dilemma. Sieben Monate ist das her. Es gab schon viele Momente, in denen ich mich gern an sie gewandt hätte. Heute hätten wir uns wahrscheinlich zum Familienessen getroffen. 85 Jahre sind schließlich eine Feier wert. Nun erinnern wir uns feierlich. Jede:r auf ihre und seine Weise.

Ein Herz, das noch was sieht

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„Es herrscht das Absurde und die Liebe rettet davor.“  Camus

 

 

Elevator

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„Der Versuch den Himmel auf Erden zu verwirklichen, produziert stets die Hölle.“                          K. R. Popper

 

 

Flying High

 

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„Beobachte das Schwimmen der Fische im Wasser und du wirst den Flug der Vögel in der Luft begreifen.“ Leonardo da Vinci

Light up

lichtblick
„We can easily forgive a child who is afraid of the dark; the real tragedy of life is when men are afraid of the light.“ Plato  „Wir können einem Kind, das sich vor der Dunkelheit fürchtet, leicht verzeihen; die wahre Tragödie des Lebens ist, wenn die Menschen sich vor dem Licht fürchten.“ Platon

 

 

 

Crossing Waters

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„Deine Kinder sind nicht deine Kinder. Sie sind die Söhne und Töchter der Sehnsucht des Lebens nach sich selbst. Sie kommen durch dich, aber nicht von dir und obwohl sie bei dir sind, gehören sie dir nicht. Du kannst ihnen deine Liebe geben, aber nicht deine Gedanken, denn sie haben ihre eigenen Gedanken. Du kannst ihrem Körper ein Heim geben, aber nicht ihrer Seele, denn ihre Seele wohnt im Haus von morgen, das du nicht besuchen kannst, nicht einmal in deinen Träumen. Du kannst versuchen, ihnen gleich zu sein, aber suche nicht, sie dir gleich zu machen. Denn das Leben geht nicht rückwärts und verweilt nicht im Gestern. Du bist der Bogen, von dem deine Kinder als Pfeile ausgeschickt werden. Lass deine Bogenrundung in der Hand des Schützen Freude bedeuten.“ — Elisabeth Kübler-Ross

Zen Camera

Zen – der Weg des Fotografen  ist eine Einladung. Eine Einladung, tatsächlich zu betrachten, bevor ich etwas  festzuhalten versuche. Mit den Übungen des Fotografen David Ulrich bietet sich die Chance, neu sehen zu lernen.  Sich des eigenen Blicks zu versichern – immer wieder. Das Beobachten zu favorisieren.  Bildhaft zu beschreiben, indem ich festhalte, was da ist. So wie es ist.  Ohne den Anspruch an Perfektion. Am besten ohne zu werten.  Und wenn das nicht geht,  sich der Wertungen für das bewusst zu werden, was ich erblicke. Mir klar zu werden, wozu ich festhalten möchte, was ich entdecke, was ich feiere, was ich später entfremde. Das Kopfkino zu zelebrieren, das losgeht, wenn mir Dinge, Menschen, Wetter, Landschaften, Kompositionen und Geschehnisse in den Blick geraten. Es ist egal, ob es eine Profikamera oder ein Smartphone als Handwerkszeug ist:  Dieser Prozess hat fünf Etappen:  Beobachtung, Achtsamkeit, Identität, Übung und das Beherrschen. Wer sich auf diesen Weg einlässt, erfährt eine Transformation des eigenen Sehens. Für Beratende und Therapeuten die etwas andere Intervision. Sehr empfehlenswert- besonders für Kolleg*innen, die mit der Fotografie  in Beratung und Coaching arbeiten.

 

Erschienen im Counseling Journal 2/2019

Zuhören und Beobachten

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„Wenn Sie Zuhören und Beobachten zu Ihrem Beruf machen, werden Sie viel mehr gewinnen, als Sie durch Reden erreichen können.“ Robert Baden-Powell

Diese Musik ist am besten mit Kopfhörer zu genießen. Und sie ist wunderbar geeignet, mal seinen eigenen Impulsen freien Lauf zu lassen. Ich hoffe, Ihr habt Platz für Bewegung!  #listenanddance

Mad World

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„Ein zufriedener Mensch besitzt die Fähigkeit der Selbstkontrolle, aber nicht jene Art der Selbstkontrolle, die darin besteht, zu ertragen und mit allem zufrieden zu sein, sondern vielmehr jene Selbstkontrolle, die die Fähigkeit gibt zu kämpfen!“  Elsa Brandstöm

Auf ein Neues!

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„Jeder hat eine geheime Welt in sich. Alle Menschen dieser Welt, ich meine alle. Egal wie stumpf und langweilig sie nach außen hin auch sein mögen, in sich haben sie alle unvorstellbare, großartige, wunderbare, verrückte, erstaunliche Welten. Nicht nur eine Welt. Hunderte von ihnen. Tausende vielleicht.“ Neil Gaiman

Möge das neue Jahr Euch diese Welten bereisen lassen.

Ich danke Euch für alle Hilfe, Begleitung, Tipps, Liebe, Freundschaft, Einladungen, Herberge,  Zuhören, Antworten, Fragen, Aufträge, Vertrauen und Fürsorge im letzten Jahr. Mit Euch war Schweres einfacher, Schönes schwerwiegender, Kompliziertes lösbarer, Erfolgreiches besser zu teilen, Gelungenes erkennbarer, Verzweiflung auszuhalten, Unabänderliches akzeptieren. DANKE!

Euch wünsche ich jede Menge Gesundheit, Geduld, Humor, Gelassenheit, wertvolle Einsichten und gute Absichten. Und Freunde, die an Euch glauben, wenn Ihr es selbst gerade mal nicht könnt. Menschen, mit denen Ihr lachen, essen, singen, sprechen, schweigen und genießen, einander zuhören und Euch spiegeln wollt. Oder mit denen Ihr einfach mal gehen, was wegschaffen, schleppen, aushalten oder erdulden könnt.

Es gibt viel zu tun!

 

Ein frohes, neues Jahr! Happy 2019!

 

 

 

 

Zwischen Hochmut und Demut liegt etwas drittes….

Regen und Humor

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„Der Humor ist der Rgenschirm der Weisen.“ Erich Kästner

Humor

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„Humor ist nicht erlernbar. Neben Geist und Witz setzt er vor allem ein großes Maß an Herzensgüte voraus, an Geduld, Nachsicht und Menschenliebe.“ Curt Goetz

Väter – doch überschätzt?

Väter - doch überschätzt?

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