
Ich war 14 Jahre alt. Auf dem Hocker neben meinem Bett – einem von dreien im Zimmer des Klosterinternats – stand der Mister Hit. Babyboomer werden sich erinnern: Dieser Plattenspieler, in dessen durchsichtigem Deckel der Lautsprecher installiert war. Auf dem Plattenteller lag die Deep Purple in Rock LP. Und zu dem Original von „Child in Time“ habe ich mich ausgelassen. Wenn ich auch nicht schreien durfte – Luftgitarre, Headbanging und Tanzen ging. Vor allem, wenn ich allein war. Mich haben diese Sessions gerettet. Drei Töne angespielt, die erste Textzeile gesungen – und ich bin wieder von allen körperlichen und emotionalen Sensationen der Zeit ergriffen. Erinnerungen aller Art – Gerüche, Streits. Sehnsüchte, Gespräche, Hänseleien, empfundene Ungerechtigkeiten, die verbotene Zigarette auf dem Balkon (von der wir dachten, dass es keiner rieche /hahahaha), Trockenshampoo, der Scherenschnitt von Che Guevara an der Wand, Schlaghosen, Lügen, um mehr als zweimal für eine Stunde pro Woche aus dem Haus zu kommen, Lateinnachhilfe, erste politische Aktionen mit Amnesty International, Tanzstunden (ich musste den „Mann“ geben, da ja schon ausgewachsen war und sie wohl fürchteten, dass es keinen zwei Meter langen „Jungen“ gäbe)… Ich könnte jetzt noch ein lange Liste schreiben. Rückblickend waren es drei Jahre, in denen Mitschülerinnen und Nonnen, Lehrer und Erzieherinnen versuchten, mir beizubiegen, dass Mädchen sich anpassen mussten, um gemocht zu werden. Ich habe dort das erste Mal bewusst erlebt, was sozialer Druck bedeutet. Das ist nicht ohne…… das weiß ich. Bis heute. In vielerlei Hinsicht durfte ich da „dranfassen“ – ob als Pfarrestochter, ältere Schwester, körperlich großer Mensch, als Alleinerziehende, als Mutter eines behinderten Sohnes, als Protestantenkind im Kloster :-)….. Bis heute reagiere ich auf kollektive Misstrauenserklärungen allergisch, vor allem, wenn ich Teil einer Gruppe der Menschen bin, die beurteilt, verurteilt, denen etwas unterstellt wird.
Ich vermute, dass ich aus diesen Erfahrungen heraus die Berufe wählte (und auch abwählte), die ich bislang habe. Professionen, die es mir erlauben, Menschen dabei zu begleiten, einander zu verstehen, sich selbst zu verstehen – Bilder und Worte zu finden für das, was sie in der Welt, in sich und an sich (auch in der Begegnung mit anderen) entdecken.
Und jetzt – an diesem wunderbaren Novembertag, an dem die Sonne vom blauen Himmel aus ein Vielfarbenbraun rund um die Seen hier im hohen Norden erstrahlen lässt – gehe ich vor die Tür. Mich erden. Am Wasser. 🙂 Habt einen schönen Tag!
Ich habe es noch einmal anders eingebettet. Versuche es doch einfach noch einmal. Danke für den Hinweis. 🙂 Have a nice Sunday!
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Die Einbettung des Videos klappt irgendwie nicht. Deine Erinnerungen kann ich gut nachvollziehen.
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